Konfliktmanagement: Potenzial zur nachhaltigen Effizienzsteigerung in Wirtschaftsunternehmen

Teil 2: Phasen der Effizienzsteigerung in Wirtschaftsunternehmen

Oliver Ahrens, Lars Peterson
Die Wirtschaftsmediation, 1/2015

Im ersten Teil dieses Artikels wurde aufgezeigt, wie die Erschließung von Effizienzreserven grundsätzlich von dem Einfachen zum Komplexen fortschreitet. Dieses Prinzip wird im Folgenden auf die Erschließung von Effizienzpotenzialen in Wirtschaftsunternehmen angewendet. Ausgehend von dieser Hypothese kann die Erschließung von wirtschaftlichen Nutzenreserven in drei Phasen gegliedert und die Bedeutung des Konfliktmanagements der Abfolge dieser Phasen zugeordnet werden.

Phase 1: Umsetzungsprozesse

Den ersten Fokus und somit Einstieg zur systematischen Verbesserung in Wirtschaftsunternehmen stellen die Umsetzungsprozesse dar. Hierunter sind insbesondere Produktionsabläufe bzw. Prozesse mit vergleichbarem Charakter, wie Logistikabläufe, Montagen und ähnliches, zu verstehen.

In den ersten 100 Jahren seit Beginn der Industriellen Revolution ab dem späten 18. Jahrhundert dominierte noch das Handwerk bei der Herstellung komplexer Produkte. Die in der Regel mangelnde Austauschbarkeit von Bauteilen war der fehlenden Präzision in der Herstellung dieser Bauteile und der unzureichenden Genauigkeit der Messmittel zuzuschreiben. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts konnte durch die Einführung von Henry Fords Fließbandproduktion ein dramatischer Produktivitätsschub erzielt werden, indem die Produktionzeit eines Autos um 88 Prozent reduziert wurde (Womack et al. 1990: 29).

Ab den 1950er-Jahren begann Toyota seinen langen Weg zum Aufbau und zur steten Verfeinerung des Toyota-Produktionssystems. Die damit einhergehenden signifikanten Effizienzsteigerungen wurden unter anderem durch die Minimierung von Leerlaufzeiten und Ausschuss erzielt.

1989 erschien das Buch The Machine that Changed the World mit den Ergebnissen einer vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) angeleiteten Studie zur Automobilindustrie. Das Buch prägte den Begriff der „Lean Production“, was seither zahlreichen Industrien und Beratern als methodischer Ansatz für Effizienzsteigerungsmaßnahmen dient (ebenda: 92). Der „Lean-Ansatz“ ist als ein Megatrend zu begreifen, der bereits große Verbreitung gefunden hat und im Bereich der Wirtschaft ein Standardinstrument darstellt.

Sind Produktionsabläufe erst einmal festgelegt, ist die Anzahl der Freiheitsgrade im Vergleich zu anderen Wertschöpfungsanteilen verhältnismäßig gering. Externe Störeinflüsse werden im Normalbetrieb häufig mit einem Arbeitsvorrat in den wahrscheinlichen Auswirkungen begrenzt. Die Wiederholbarkeit von Produktionsabschnitten vorausgesetzt, lassen sich diese recht leicht erfassen, bewerten und somit greifbar für Verbesserungen machen. Dadurch besitzt der Produktionsbereich eine verhältnismäßig geringe Variabilität in den Ablaufelementen und bietet folglich das größte und am leichtesten zu erschließende Potenzial für Standardisierungen und Effizienzsteigerungen durch Prozessverbesserungen. Systematische Ansätze hierfür sind insbesondere mit Shewharts und Demings PDCA-Zyklus (Plan-Do-Check-Act) (1986) oder mit Toyotas „Scientific Method“ gegeben (Spear / Bowen 1999).

Je mehr Wissen zu effizienzverbessernden Methoden, Prozessen und Werkzeugen Verbreitung findet, umso weniger kann ein Unternehmen im Wettbewerb durch dieses Wissen einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten generieren. Mit der Etablierung dieser Standards unter den Marktteilnehmern vergrößert sich somit der Bedarf zur Erschließung neuer Effizienzpotenziale, um einen neuerlichen Wettbewerbsvorteil zu schaffen.

Phase 2: Kreativprozesse

Die existierenden Verbesserungen bei Umsetzungsprozessen werden hierbei nicht durch Kreativprozesse ersetzt, sondern ergänzt. Letztere stellen die nächste Stufe von Effizienzreserven (mit höherer Komplexität) dar, die es zu erschließen gilt, da die leichter zu erschließenden Potenziale bereits genutzt werden und deren Verbreitung über Standards zu einem Ausgleich zwischen den Marktteilnehmern geführt hat, wenngleich auch auf einem höheren Produktivitätsniveau.

Beispielhaft für Kreativprozesse werden hier Entwicklungsabläufe angeführt. Diese sind stellvertretend für zahlreiche andere Tätigkeiten in einem Unternehmen zu betrachten, die einen im Vergleich zu Produktionsabläufen größeren Freiheitsgrad in der Gestaltung der Abläufe besitzen. Kennzeichnend ist hier die Vielfalt von Lösungsoptionen sowohl in der Innovations- und Entwicklungsphase wie auch bei einer späteren Umsetzung im industriellen Maßstab.

Seit den 1990er-Jahren sind verschiedene systematische Verbesserungsansätze für Forschungs- und Entwicklungsbereiche in Unternehmen erkennbar, die sich möglicherweise ebenfalls zu Megatrends ausbilden. Als Beispiel ist Eliyahu M. Goldratts Engpasstheorie („Theory of Constraints“) in den verschiedenen Anwendungsformen zu nennen. Die erste Anwendungsform in Produktionsumgebungen (Goldratt / Cox 1992) wurde seit 1990 erweitert um die Ausprägung als „Critical Chain Project Management“, welches auf Effizienzsteigerungen in Forschungs- und Entwicklungsbereichen abzielt, das heißt auf Kreativprozesse. Dieser Ansatz verfolgt die systematische Steigerung der Gesamtleistung eines Entwicklungsprozesses, insbesondere der Entwicklungsgeschwindigkeit und der Termineinhaltung, durch das gezielte Steuern von Kapazitätsengpässen (Goldratt 1997).

Ebenfalls seit den 1990er-Jahren verbreitet sich mit der „Agilen Softwareentwicklung“ ein weiterer systematischer Ansatz zur Prozessverbesserung im Umfeld von Entwicklungsprozessen. Diese Methodik findet mittlerweile auch Anwendung außerhalb der reinen Softwareentwicklung. Die Agile Softwareentwicklung fördert den regelmäßigen persönlichen Austausch zwischen den Entwicklungsbeteiligten. Weitere Merkmale dieses Ansatzes bestehen in kurzen Rückmeldeschleifen und dem Streben nach häufigeren Entwicklungszwischenständen anstelle allzu umfangreicher Anforderungsbeschreibungen und formaler Abläufe (Cohn 2005).

In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren wurde der im Produktionsumfeld erfolgreiche Ansatz zur Lean Production zunehmend auf den Produktentstehungsprozess adaptiert und unter „Lean Development“ geführt. Unter vielen Gesichtspunkten wird hierbei unter anderem das „Concurrent Engineering“ verfolgt und ein enger Kundenkontakt für ausgewählte Entwicklungsbeteiligte gesucht (Morgan / Liker 2006).

Schon anhand des zeitlichen Versatzes im Vergleich zur Verbreitung und Etablierung der Verbesserungsstandards im Umfeld der Umsetzungsprozesse wird deutlich, dass die Erschließung dieser zusätzlichen Verbesserungspotenziale im Umfeld von Kreativprozessen noch nicht weit fortgeschritten ist. Die Megatrends befinden sich noch in der Entstehungsphase und haben sich bisher nicht flächendeckend als Standards etabliert. Aber auch hier ist eine Standardbildung und -verbreitung in einer Zeitspanne von mehreren Jahren bis Jahrzehnten zu erwarten.

Phase 3: Mitarbeiterwirksamkeit

Sobald die Effizienzreserven in den Umsetzungsprozessen (Phase 1) und in den Kreativprozessen (Phase 2) weitestgehend identiziert sind und sich als Standards bei den konkurrieren- den Wirtschaftsunternehmen durchgesetzt haben, wird sich erneut ein Phasenübergang aufdrängen. Auch in diesem Fall handelt es sich nicht um die Ablösung der bis dahin etablierten Effizienzverfahren. Diese stellen aufgrund der allgemeinen Anwendung zwischen den Marktteilnehmern lediglich einen neuen Gleichstand her, der mit abnehmenden Wettbewerbsvorteilen bei allen Beteiligten einhergeht. Das Streben nach neuen Wettbewerbsvorteilen verlangt den Einstieg in eine neue Komplexitätsstufe.

Die beiden zentralen Fragen an dieser Stelle lauten: Welches Effizienzpotenzial wird als nächstes zu erschließen sein? Und wann beginnt die systematische Erschließung dieses Effizienzpotenzials? Die Frage nach dem dritten großen Effizienzpotenzial darf kontrovers diskutiert werden. So wird argumentiert, dass nach den etablierten Standards in den Umsetzungs- und Kreativprozessen die Wirksamkeit der Mitarbeiter in den Vordergrund rücken wird. Deren Wirksamkeit ist zwar bereits als Bestandteil der Arbeitsabläufe in Umsetzungs- und Kreativprozessen zu einem Teil reguliert, also Bestandteil der Verbesserungen. Dies beschränkt sich jedoch auf die prozessual beschreibbaren Arbeitsanteile, was je nach Rolle eines Mitarbeiters in der Wertschöpfung einen unterschiedlich großen Anteil seiner Wirksamkeit betrifft. Die Wirksamkeit von Mitarbeitern in Umsetzungsprozessen kann durch die exakten Ablaufvorgaben bereits zu einem Großteil erfasst sein. Je größer jedoch der Anteil der Tätigkeiten eines Mitarbeiters außerhalb exakt vorgegebener Ablaufvorgaben ist, umso bedeutender wird die Art und Weise, mit der ein Mitarbeiter seinen selbstbestimmten Arbeitsumfang gestaltet, und insbesondere wie wirksam der Mitarbeiter seine Tätigkeit in der Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern leistet.

Gerade in der zu einem hohen Maße arbeitsteiligen Welt von Großunternehmen ist die Wirksamkeit eines Mitarbeiters an seinen zahlreichen Schnittstellen von großer Bedeutung. In der Summe aller Mitarbeiter stellt dies einen signifikanten Einfluss auf die Wertschöpfung eines Unternehmens dar.

Es gibt zahlreiche methodische Ansätze zur Steigerung der e zienten und e ektiven Zusammenarbeit von Mitarbeitern. Einige von ihnen nutzen die bestehenden innerbetrieblichen Strukturen und sind zumeist der Personal- und Organisationsentwicklung zugeordnet. Weitere Ansätze, wie beispielsweise das Konfliktmanagement, sind bisher nur in Ausnahmefällen in die Unternehmensstruktur integriert.

Wenn die Wirkprinzipien der beiden zuvor beschriebenen Phasen ebenfalls auf diese dritte Phase angewendet werden, muss es bei allen Ansätzen gleichermaßen darum gehen, die an der Wertschöpfung Mitwirkenden zu befähigen, ihre bestehenden Leistungspotenziale möglichst gut einzusetzen bzw. zu steigern. Wenn die Perspektive vom Individuum auf das Kollektiv erweitert wird, müssen diese Ansätze ferner darauf gerichtet sein, die Reibungsverluste im Zusammenwirken der Einzelnen an einer gemeinsamen Wertschöpfung zu reduzieren. Insbesondere das Streben nach „konflikteffizienter“ Zusammenarbeit zwischen den wertschöpfenden Mitarbeitern qualifiziert das Konfliktmanagement als einen der möglichen Schwerpunkte dieser dritten Phase, vergleichbar mit dem Produktionsmanagement und dem Entwicklungsmanagement in den vorangegangenen Phasen.

Der Status Quo in der Beurteilung des Konfliktmanagements führt zu der Feststellung, dass die Potenziale, die in der effizienten und effektiven Zusammenarbeit der individuellen Träger unternehmerischer Wertschöpfung – der Mitarbeiter – bestehen, zwar erkannt werden, sich hierzu jedoch noch keine Megatrends ausgebildet haben, die vergleichbar mit dem Toyota Produktionssystem bereits zur Ausprägung bestimmter Methoden als Standards in Wirtschaftsunternehmen geführt haben.

Somit stellt sich erneut – und mit Erweiterung – eine nächste zentrale Frage: Wann beginnt die systematische Erschließung dieses weiteren Effizienzpotenzials und welche Voraussetzungen müssen hierfür geschaffen werden? Gemäß der Hypothese zur Erschließung von Nutzenreserven in einer definierten Reihenfolge besitzt das Effizienzpotenzial des Konfliktmanagements eine größere Komplexität als die zuvor erschlossenen. Die Komplexität im Konfliktmanagement resultiert im zweifachen Sinne aus einer eingeschränkten Messbarkeit. Zum einen lassen sich die Schadenshöhe ineffizient geführter Konflikte und deren Auswirkungen auf die Unternehmenswertschöpfung schwer erfassen. Zum anderen sind Verbesserungen in der individuellen Mitarbeiterwirksamkeit gleichermaßen schwer in ihren Auswirkungen auf die Unternehmenswertschöpfung zu bewerten. Ansätze zur Quantifizierung der Schadenshöhe und des Nutzens sind somit eine wichtige Voraussetzung, um die Messbarkeit bzw. Fortschrittsbeurteilung zu ermöglichen.

Zusammenfassung und Ausblick

Die hier gewählte Gliederung in diskrete Phasen lässt sich in der Realität nicht aufrechterhalten. Tatsächlich entwickelt sich der Übergang von der Phase 1 in die Phase 2 fließend. Mit dem Beginn der Phase 2 enden nicht die Bemühungen, weitere Verbesserungen zu entwickeln, die den Umsetzungsprozessen und somit der Phase 1 zuzuordnen sind. Die modellhafte Zuordnung zeigt jedoch auf, dass bestimmte Voraussetzungen gegeben sein müssen, ehe der Einstieg in eine neue Phase erfolgversprechend ist. Aufgrund der Wettbewerbsmechanismen von Wirtschaftsunternehmen ist der Eintritt in eine weitere Phase zur Erschließung von Effizienzpotenzialen zu erwarten, sobald die größten Potenziale aus den vorangegangenen Phasen erschlossen sind und mittels Standardisierung Verbreitung gefunden haben. Unbestritten ist, dass ein bedeutendes nicht erschlossenes Potenzial in der effizienten Zusammenarbeit von Mitarbeitern besteht: „In den letzten Jahren wurde immer deutlicher, dass der Umgang mit Konflikten eines der wenigen verbleibenden Felder in Unternehmen ist, auf denen grundlegende Innovation und relevante Kostenoptimierung möglich sind“ (Gläßer/ Kirchho 2011). Die Effizienzpotenziale von Konfliktkosten werden auf Basis einer sehr umfangreichen empirischen Studie mit wenigstens 25 Prozent pro Jahr geschätzt (Insam et al. 2009).

Vieles spricht dafür, dass die zu erwartende nächste Phase die Effizienzpotenziale in der Wirksamkeit von Mitarbeitern, insbesondere in ihrem Zusammenwirken, zum Gegenstand haben wird. Als eine wichtige Voraussetzung ist die Notwendigkeit zur Messbarkeit der Mitarbeiterleistung und Quantifizierung von Verbesserungspotenzialen in der Zusammenarbeit von Mitarbeitern herausgearbeitet worden. Somit ist die Zeit reif für die Vorbereitung der dafür benötigten Megatrends, das heißt für die Ausarbeitung von Methoden und Ansätzen, die die Denkweisen, Prozesse und Werkzeuge im Sinne einer nachhaltigen Verbesserung in der Zusammenarbeit von Mitarbeitern fördern.

Literatur
  • Cohn, Mike (2005): Agile Estimating and Planning. Upper Saddle River: Pearson Education.
  • Deming, William Edwards (1986): Out of the Crisis. Cambridge: MIT Institute of Technology, Centre for Advanced Engineering Study.
  • Gläßer, Ulla / Kirchhoff, Lars (2011): Konfliktmanagement. Von den Elementen zum System, hrsg. v. PricewaterhouseCoopers/Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder), S. 10.
  • Goldratt, Eliyahu M. (1997): Critical Chain. Great Barrington: North River Press.
  • Goldratt, Eliyahu M. / Cox, Jeff (1992): The Goal. A Process of Ongoing Improvement. 2. überarb. Aufl. Great Barrington: North River Press.
  • Insam, Alexander et al. (2009): Konfliktkostenstudie. Die Kosten von Reibungsverlusten in Industrieunternehmen, hrsg. v. KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Frankfurt am Main, S. 20.
  • Morgan, James/Liker, Jeffrey K. (2006): The Toyota Product Development System. Integrating People, Process and Technology. New York: Productivity Press
  • Spear, Steven / Bowen, H. Kent (1999): Decoding the DNA of the Toyota Production System. In: Harvard Business Review 77, S. 97–106.
  • Womack, James P. et al. (1990): The Machine that Changed the World. New York: Rawson Associates.